Dr. Michael Haas leitet die gemeinnützige Bildungsinitiative Media Smart e.V. in Köln. Der Verein macht sich für die Förderung von Werbe- und Medienkompetenz stark und richtet sein Augenmerk vor allem auf junge Menschen. Im andersneu-Interview verrät Dr. Haas, wie die immer beliebter werdenden Smart Speaker von Jugendlichen und Familien in Deutschland als Informationskanal genutzt werden und welche Rolle aufstrebende Plattformen wie Twitch, TikTok und Snapchat im Medienkonsum junger Menschen einnehmen.
Wie schätzen Sie die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen im Jahre 2022 generell ein?
Den technischen Umgang mit Smartphones und Tablets beherrschen inzwischen nicht selten sogar schon Kinder im Vorschulalter. Doch auch wenn digitale Medien im Alltag von jungen Menschen allgegenwärtig sind (übrigens nicht zwangsläufig als Ersatz, sondern als Ergänzung zu analogen Medien wie Fernsehen oder Büchern), gibt es nach wie vor Aufholbedarf in Sachen Medienkompetenz.
Gerade die jüngsten Nutzer:innen haben natürlich kein ausgeprägtes Risikobewusstsein für Stolpersteine im Netz, etwa wenn es um nicht-jugendfreien Content, In-App-Käufe oder Datenschutz geht.
Für einen risikoaversen Umgang mit persönlichen Daten sind selbst viele Jugendliche nicht sensibilisiert. Sie nutzen digitale Medien besonders zu Kommunikations- und Unterhaltungszwecken und geben auf Social Media oft viel Privates über sich preis.
Vielen ist dabei nicht bewusst, dass personenbezogene Daten sowie Fotos und Videos im Netz ohne Vorkehrungen für alle sichtbar sind und bleiben. Der hohe Social Media-Konsum bringt weitere Herausforderungen, wie Cybermobbing, Hate Speech und Fake News mit sich.
Ein kompetenter Umgang mit diesen Hindernissen kann keinesfalls vorausgesetzt werden: Die Förderung von Medienkompetenz sollte deshalb schon im Kindergarten auf dem Programm stehen.
Welche sozialen Netzwerke nutzen Kinder und Jugendliche hauptsächlich und wie schätzen Sie die Resilienz der Kinder und Jugendlichen gegenüber Werbung- bzw. Marketing-Beiträgen ein?
Besonders häufig nutzen junge Menschen Instagram und TikTok – das zeigen die Ergebnisse der JIM-Studie 2021. Über die Hälfte (58 %) der befragten 12- bis 19-Jährigen geben an, regelmäßig auf Instagram unterwegs zu sein, 46% sagen dies über TikTok. Facebook hingegen hat bei der jungen Zielgruppe deutlich an Beliebtheit eingebüßt. Die meiste Zeit verbringen die Heranwachsenden allerdings mit dem Messenger-Dienst WhatsApp: 85% der Heranwachsenden nutzen diesen täglich.
Doch obwohl junge Menschen so viel Zeit im Netz verbringen, fällt es ihnen tendenziell schwer, Online-Werbeformen mit ihren vielfältigen Ausprägungen deutlich als solche zu erkennen: Werbung kann sich z. B. in Blog-Artikeln, in Google-Suchergebnissen oder auch in alltäglichen Videos auf YouTube und Instagram (verdeckt) zeigen. Beim Thema Werbekompetenz besteht also Nachholbedarf: Kinder und Jugendliche benötigen mehr denn je Unterstützung dabei, digitale (und analoge) Werbung zu erkennen und die dahinterstehenden Intentionen kritisch zu hinterfragen. Wer dazu befähigt wird, kann bereits im jungen Alter selbstbestimmter und reflektierter mit Werbeangeboten umgehen.
Thema Smart Speaker: In wie vielen deutschen Haushalten stehen bereits Alexa, Google & Co.? Welche Art von Informationen rufen Familien über die Geräte ab?
In rund 33 Prozent der deutschen Haushalte war bereits im Jahr 2021 mindestens ein intelligenter Lautsprecher vorhanden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung von OMD Germany. Besonders gerne lassen sich deutsche Nutzer:innen die Nachrichten vorlesen.
Auch der Faktor Unterhaltung spielt bei der Nutzung von Alexa und Co. eine große Rolle – ob beim Streamen von Musik, Hörspielen oder Podcasts oder auch, wenn es ums Radio hören geht. Sehr häufig werden auch alle denkbaren Informationen im Internet via Smart Speaker gesucht.
Welche Themen das konkret sind, hängt vom Alter, Bildungsgrad, der individuellen Lebenssituation etc. ab. Eindeutig ist: Smarte Technologien werden immer mehr zu unserem alltäglichen Begleiter.
Rufen deutsche Haushalte auch Informationen zu Angeboten von Städten und Gemeinden über Smart Speaker ab – z.B. Nachrichten, Behördenwegweiser, Anlaufstellen, lokales Wetter etc.?
Mir sind keine Studien bekannt, die spezifische Aussagen über das Abrufen von Stadt- und Gemeindeinformationen treffen. Aber: Smart Speaker werden wie gesagt in erster Linie genutzt, um alltägliche Abläufe zu erleichtern. Es spricht also nichts dagegen, dass in diesem Kontext auch lokale Informationsangebote abgerufen werden. Sicher kann ich Ihnen sagen: Über das Wetter befragen Nutzer:innen ihre Smart Speaker regelmäßig.
Wie würden Sie den Kontakt einschätzen, den deutsche Städte und Gemeinden zu ihren jungen Mitbürger*innen haben? Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Das kann ich so pauschal nicht beantworten. Klar ist: Gerade im Kontext von Kommunalpolitik besteht großes Potential, niedrigschwellige Partizipationsmöglichkeiten für Heranwachsende zu schaffen. Wie wichtig das ist, zeigt der Blick auf die jüngste Shell-Jugendstudie (2019).
Ein Großteil der befragten 12- bis 25-Jährigen (71 %) befürwortet die Aussage „Ich glaube nicht, dass sich Politiker darum kümmern, was Leute wie ich denken“. Dem müssen Städte und Gemeinden aktiv entgegenwirken, indem sie attraktiv Offline- und Online-Angebote für junge Menschen und mit ihnen schaffen.
Soziale Medien sind offenkundig besonders gut geeignet, um Kinder und Jugendliche zu erreichen und mit ihnen in Dialog zu treten. Viele Städte und Kommunen sind bereits auf Instagram aktiv, ein wichtiges Bedürfnis der jungen Zielgruppe haben sie also erkannt. Besonders wichtig ist es jedoch, diesen Kanal wirklich regelmäßig mit zielgruppenrelevanten Inhalten zu bespielen, um einen permanenten Austausch – auf Augenhöhe – mit Heranwachsenden zu ermöglichen.
Ein nächster Schritt dürfte darin bestehen, die Online-Präsenz auch auf TikTok auszubauen. Dort tummeln sich, wie eingangs erwähnt, ebenfalls viele Heranwachsende und informieren sich übrigens auch verstärkt über politische Entwicklungen. Alles in allem sollten alle digitalen Kanäle dann dafür genutzt werden, um Kinder und Jugendliche auf analoge Partizipationsmöglichkeiten in ihrer Stadt oder Gemeinde aufmerksam zu machen. Denn gesellschaftliche Teilhabe kann natürlich nach wie vor erst in der realen Welt ihre volle Wirkung erzielen.
Stichwort einfache und leichte Sprache: Helfen Webseiten mit einfacher Sprache auch Kindern, die Internet- und Social-Media-Angebote von Gemeinden und Städten besser zu verstehen? Wo und welchen Handlungsbedarf sehen Sie in diesem Bereich?
Ohne pauschalisieren zu wollen: Kinder werden eher selten gezielt die Website ihrer Stadt aufrufen. Wir wissen, dass viele Heranwachsende Suchmaschinen nutzen, etwa wenn sie Auskünfte für die Schule recherchieren. Sollten sie dabei auf die Website ihrer Stadt stoßen, dürfte jedoch auch eine barrierefreie Gestaltung nicht unbedingt zum Verweilen einladen.
Vielmehr empfiehlt es sich, eine separate kindgerechte Internetseite oder -Unterseite mit bunten und kreativen Formaten, gerne auch in Bewegtbild, zu designen. Der Webauftritt sollte Spaß versprechen und Neugierde wecken, zum Beispiel durch Spielangebote – Stichwort Gamification.
Die Inhalte sind idealerweise gezielt über Kindersuchmaschinen auffindbar (z. B. fragFINN oder Blinde Kuh). Wer sich an den Bedürfnissen der jungen Nutzer:innen orientiert, kann im Umkehrschluss gut informierte aktive Bürger:innen jeglichen Alters gewinnen.
Über Media Smart e. V.
Dr. Michael Haas leitet die gemeinnützige Bildungsinitiative Media Smart. Der Verein aus Köln setzt sich seit 2004 für die Förderung von Werbe- und Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen ein. Das Team konzipiert in diesem Zusammenhang freie Unterrichtsmaterialien, beteiligt sich am medienpädagogischen Diskurs, u. a. in Form von Netzwerkprojekten, Tagungen und Aufsätzen und informiert mit (Film-)Beiträgen auf dem Media Smart-Blog und weiteren relevanten Kanälen rund um das Thema Medien und Werbung.
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