Die Pressestelle in Radebeul hat es gut, denkt sich sicherlich der ein oder andere. Anstelle zahlreiche soziale Netzwerke zu füttern, hat die Stadt eine eigene App entwickelt, die doppelte Datenpflege überflüssig macht. Informationen in der App wurden nämlich mit dem städtischen Redaktionssystem gekoppelt. Das überzeugt die Menschen in Radebeul, die die Bürger-App gut annehmen und sich über mehr Transparenz, einen besseren Informationsfluss sowie einen besseren Austausch mit den Behörden freuen. Ein Grund für andersneu bei der Pressestelle nachzufragen, warum und wie es zu der App kam, wieviel so eine Entwicklung und Pflege kostet und welche Rückmeldungen von der Bevölkerung kommen.
Frau Bollmann, warum ist Radebeul nicht mehr auf Facebook und in sozialen Netzwerken mit einer eigenen Präsenz vertreten?
Der Bundesbeauftragte für Datenschutz formulierte im Juni 2021 folgendes (Anm. d. Red.: Lesen Sie das gesamte Rundschreiben als PDF).
„Mit meinem Rundschreiben vom 20. Mai 2019 an alle obersten Bundesbehörden hatte ich bereits darauf hingewiesen, dass ein datenschutzkonformer Betrieb einer Facebook-Fanpage gegenwärtig nicht möglich ist. Es wäre erforderlich, dass öffentliche Stellen, die eine Fanpage betreiben, eine Vereinbarung mit Facebook zur gemeinsamen Verantwortlichkeit schließen, die den Anforderungen von Art. 26 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)entspricht. […]
Leider hat Facebook auch dem BPA nur das öffentlich bekannte „Addendum“ von Oktober 2019 übersandt. Das „Addendum“ ist aus Sicht der Datenschutzbehörden von Bund und Ländern weiterhin unzureichend. […] Die Ressorts und deren Geschäftsbereiche, die Fanpages betreiben, können somit ihrer Rechenschaftspflicht gem. Art. 5 Abs. 2 DSGVO weiterhin nicht nachkommen. Es ist insbesondere nicht ausreichend, die Nutzer in Bezug auf Informationen zur Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten im Rahmen einer Facebook-Fanpage allein pauschal auf Facebook zu verweisen.
Ein längeres Abwarten ist mir angesichts der fortdauernden Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten der Nutzerinnen und Nutzer nicht möglich. Sofern Sie eine Fanpage betreiben, empfehle ich Ihnen daher nachdrücklich, diese bis Ende diesen Jahres abzuschalten. Ab Januar 2022 beabsichtige ich –im Interesse der betroffenen Bürgerinnen und Bürger –schrittweise von den mir nach Art. 58 DSGVO zur Verfügung stehenden Abhilfemaßnahmen Gebrauch zu machen.“
Rundschreiben vom 20.05.2019 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
Dieser Vorgabe ist die Stadt Radebeul nachgekommen.
Ist die Löschung der Grund für die eigene Bürger App? Oder wann haben Sie sich für die App entschieden?
Die Datenschutzproblematik bzgl. Facebook war ein Kriterium von vielen, welches uns dazu bewogen hat, die Radebeuler Bürger-App ins Leben zu rufen. Die Entscheidung dazu fiel jedoch bereits weit vor dem Facebook-Verbot. Hintergrund war vielmehr der Anspruch, einen verlässlichen, schnellen und niedrigschwelligen digitalen Kommunikationskanal für alle Einwohnerinnen und Einwohner anzubieten, denn nur ein informierter Bürger kann seine demokratischen Rechte wahrnehmen.
Die etablierten Informationsangebote wie das Radebeuler Amtsblatt, Aushänge oder auch die Internetseite eint, dass der Nutzer von sich aus aktiv werden muss, um Informationen zu erhalten. Dies entspricht jedoch heute eigentlich nicht mehr unseren Gewohnheiten.
In Zeiten, in denen der Einzelne eher geneigt ist, sich der Flut an Informationsangeboten zu entziehen nimmt sich kaum jemand die Zeit und sucht aktiv auf der städtischen Internetseite nach möglicherweise für ihn relevanten Informationen.
Dazu kommt, dass die bisherigen Angebote nicht miteinander vernetzt sind und oft nur mit großer zeitlicher Verzögerung die Einwohnerinnen und Einwohner erreichen. Ein naheliegender Gedanke wäre es dann schon, soziale Medien zu nutzen.
Diese bringen jedoch – abgesehen von der Datenschutzproblematik – auch viele weitere Nachteile mit sich. Sie sind beispielsweise nicht barrierearm. Dies ist jedoch ebenso eine zwingende Anforderung an öffentliche Stellen. Weiterhin bergen sie enorme Risiken in Sachen Fake News. Bürgerinnen und Bürger müssen und wollen sich jedoch zu 100% auf die Informationen der Kommune verlassen können.
Dazu kommt, dass Social Media-Kanäle mitunter sehr kurzlebig sein können und einander oft verdrängen. Was heute noch ein guter Kanal ist um eine bestimmte Zielgruppe zu erreichen, das kann morgen schon »out« sein. Weiterhin bringen sie einen enormen redaktionellen und zeitlichen Aufwand mit sich, Daten müssen doppelt gepflegt werden.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Stadt Radebeul für einen eigenen Weg entschieden. Die Radebeuler Bürger-App ist quasi eine „Verlängerung“ der Internetseite radebeul.de. Aktuelle Nachrichten werden ins CMS eingepflegt und können via Knopfdruck auch in der App ausgespielt werden. Darüber hinaus ist sie barrierearm, datenschutzkonform, der Server steht in Deutschland, die Daten sind 100% vertrauenswürdig, der Nutzer benötigt kein Login oder ähnliches und alle Informationen können über ein individuelles Push-Nachrichten-Abo in Echtzeit erhalten werden.
Was genau ist die Bürger App und welche Informationen und Funktionen bietet sie?
Die werbefreie Radebeuler Bürger-App richtet sich an Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Radebeul. Sie soll dabei helfen, für Bürger-Anliegen schnell den richtigen Ansprechpartner zu finden, aktuelle Informationen zu gewünschten Themengebieten schnell verfügbar machen und Helfer im Alltag sein.
Die Rubrik Aktuelles bietet aktuelle Meldungen, das Amtsblatt, die Sanierungszeitung Westpost, Informationen zu Marktterminen in der Stadt sowie aktuelle Corona-Informationen. In der Rubrik Rathaus haben Nutzer die Möglichkeit, für ihre Anliegen den richtigen Ansprechpartner sowie Kontaktdaten zu finden.
Weiterhin ist das Amt 24 angebunden. Darüber hinaus werden Ausschreibungen und die Informationen aus dem Fundbüro ausgespielt. Über den Punkt Meldewesen gibt es die Möglichkeit, online einen Termin beim Einwohnermeldewesen zu vereinbaren.
Der Nutzer gibt sein Anliegen an und erhält per E-Mail den Termin sowie eine Übersicht der mitzubringenden Unterlagen. Im Bereich Stadtarchiv sind das Stadtlexikon und Personenstandsinformationen hinterlegt, welche die Familienforschung ermöglichen sollen. Der Stadtrat hat eine eigene Rubrik. Dort werden neben dem Sitzungskalender alle Vorlagen für Gremien und den Stadtrat 1 Woche vor der Abstimmung zur Verfügung gestellt und auf Wunsch per Pusch-Nachricht ausgespielt.
Bürgerinnen und Bürger haben so frühzeitig die Gelegenheit, sich über relevante Themen zu informieren und ihre Anliegen dazu an den Stadtrat zu formulieren. Dies gelingt über eine Schnittstelle zum Ratsinformationssystem, welche durch uns programmiert wurde. Im Bereich Bürgerbeteiligung ist das Beteiligungsportal von Sachsen angebunden, wo wir als Stadt alle Öffentlichkeitsbeteiligungen veröffentlichen.
In der Rubrik Leben haben wir den Abfallkalender, die Stadt- und Wasserwerke, die Wohnungsbaugesellschaften und das Jobcenter angebunden. Weiterhin findet man hier eine Karte der Altglascontainer in der Stadt und eine Übersicht der WLAN-Punkte in der Stadt. In der Rubrik Verkehr werden alle Straßensperrungen angezeigt (Schnittstelle zum Fachsystem) sowie der ÖPNV Fahrplan für Radebeul.
Die Rubrik Kinder und Jugend gibt eine Übersicht über Spielplätze und Freizeitangebote für Kinder, die Musikschule ist angebunden sowie das KIVAN Portal zu Anmeldung eines Kindertagesstättenplatzes. Eine Praktikumsbörse gibt einen Überblick über Praktikums-, Ferienjob- und Ausbildungsplätze in Radebeul.
Die Bibliothek hat eine eigene Rubrik, da sie von sich aus bereits viele Online-Angebote hat, bspw. die digitale Bibliothek Onleihe, das Streamingportal Filmfriend oder die Bestandsverwaltung.
In der Rubrik Freizeit gibt es eine Veranstaltungsübersicht, einen Ticketshop sowie die Instagram-Angebote der Stadtfeste. Darüber hinaus ist die Sport-Bäder und Freizeit GmbH hier angebunden, die Hoflößnitz als städtisches Weingut sowie der Vereinsfinder der Stadt Radebeul.
In der Rubrik Notfall gibt es eine Übersicht der wichtigsten Notruf und Havarienummern, eine Notsdienstübersicht der Apotheken sowie Beratungsangebote. Weiterhin ist die Warnapp BIWAPP hier integriert. Nutzer müssen diese App also nicht extra installieren sondern können die Nahrichten von dort über die Radebeuler Bürger-App empfangen.
Wie lange hat die Entwicklung von der Idee bis zum fertigen Produkt gedauert?
Etwa ein Jahr.
Wie hoch waren die Entwicklungskosten?
Da wir Vieles im Haus entwickelt und konzipiert haben und unsere Partnerfirma Egotec hier gemeinsam mit uns einen „Piloten“ entwickelt hat, hielten sich die Kosten für uns im Rahmen und lagen bei einem niedrigen fünfstelligen Betrag.
Wurde die App komplett eigenentwickelt oder basiert sie auf Software-”Bausteinen”?
Die App ist eine Eigenentwicklung der Firma Egotec, die auch unsere Webseite betreut.
Wie hoch belaufen sich die Kosten im Betrieb?
Die App an sich verursacht nur geringe Mehrkosten im Bereich Wartung.
Gab es Hürden, die Sie überwinden mussten, um von der ersten Idee zur funktionierenden App zu gelangen?
In erster Linie waren dies technische Hürden wie beispielsweise die Schnittstelle zum Ratsinformationssystem. Wir konnten jedoch alle Problemstellen – nach einigen Testrunden – lösen.
Welche Vorteile hat die App im Vergleich zu Apps von sozialen Netzwerken?
Da die App eine komplette Eigenentwicklung ist, ist sie jederzeit änderbar oder erweiterbar. Die technische Umsetzung liegt vollständig in unserer Hand. Dies ist ein unschätzbarer Vorteil.
Wir können somit schnell auf aktuelle Bedürfnisse und Entwicklungen reagieren. Die Rubrik „Corona“ ist hierfür das beste Beispiel.
Es gibt und gab mitunter auch schon temporäre Rubriken wie bspw. Wahlen, ein Stadtquiz oder ein Adventskalender unseres Stadtarchivs.
Bietet die App Interaktionsmöglichkeiten zwischen der Stadt Radebeul und den Nutzenden?
Momentan beschränkt sich dies auf das Kontaktformular oder die Terminbuchung für das Einwohnermeldewesen. Weitere Angebote werden folgen.
Gibt es Nachteile, die sich nach Inbetriebnahme gezeigt haben?
Die App wird sehr gut angenommen und hat sich bewährt (siehe Rezensionen). Sie erzielt genau die Effekte, welche wir im Blick hatten.
Wichtig ist ein permanent hoher Grad an aktuellen Meldungen bzw. Neuerungen in der App, damit sie als wichtig und relevant wahrgenommen wird. Lassen wir hier nach hat das direkte Auswirkungen auf die Nutzerzahl.
Dies ist jedoch kein Nachteil. So wissen wir immer, dass wir auf dem richtigen Weg sind und unsere Angebote ankommen. Anders als bspw. bei Facebook. Dort steigen die Follower zwar ggf. stetig an, wieviele inaktive Nutzer jedoch darunter sind, weiß man eigentlich nicht.
Wie viele Menschen nutzen die App aktuell?
Statistisch haben seit dem Start im Mai 2021 rund 10 % der Radebeuler Bevölkerung die App runtergeladen, also 3.500 Nutzer.
Muss ich mich für die App registrieren?
Nein.
Sammelt die App Daten und wenn ja, welche und wo werden diese gespeichert?
Die App sammelt keinerlei persönliche Daten. Erfasst werden – wenn nicht über die individuellen Mobiltelefoneinstellungen geblockt – nur die üblichen Klickdaten über Google Analytics.
Wie machen Sie auf die App aufmerksam?
Wir informieren regelmäßig im Amtsblatt über die App und deren Neuerungen. Zudem schalten wir gelegentlich Anzeigen in der Tagespresse oder hängen Werbebanner in der Stadt auf.
Wie erreichen Sie – häufig junge – Menschen, die keine »traditionellen« Medien nutzen und sich fast ausschließlich auf sozialen Netzwerken informieren?
Die App ist schon auch als Angebot für junge Menschen konzipiert. Wir bemühen uns auch für diese Gruppe interessante Informationen in der App bereit zu stellen, wie bspw. die Praktikumsbörse oder die »Teilen-Funktion«.
Momentan arbeiten wir an einem Veranstaltungskalender für Jugendliche. Darüber hinaus sind die Social Media-Angebote der Jugendeinrichtungen in der Stadt angebunden und wir arbeiten mit der Juco gGmbH zusammen.
Ziel und Anliegen der App ist es, bei den Menschen – also auch Jugendlichen – Interesse für das allgemeine und politische Geschehen in ihrer Stadt zu fördern.
Wie zufrieden sind Sie mit der App bisher und erreichen Sie darüber genau so viele Bürger*innen, wie zu Facebook-Zeiten?
Auch als es noch einen Facebook – Auftritt gab wurde dieser eher nur für touristische Zwecke genutzt und war kein Kanal, über welchen mit Bürgerinnen und Bürgern kommuniziert wurde – aus den vorgenannten Gründen.
Mit der App erreichen wir ungleich mehr Nutzer, welches sich an einem Beispiel sehr gut verdeutlichen lässt:
Stadtratsunterlagen wurden über das Ratsinformationssystem im ganzen Jahr 2020 insgesamt nur 40 Mal angeklickt. Durch die App und die damit verbundenen Push-Nachrichten wurden diese in nur 7 Monaten in 2021 rund 13.000 mal angeklickt. Damit hat das politische Geschehen in Radebeul an Transparenz deutlich gewonnen. Das Interesse dafür ist auf jeden Fall da.
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