Magst du* dich unseren Lesenden kurz vorstellen?
Ursprünglich komme ich aus Osnabrück, das Studium hat mich Mitte der 1990er nach Trier verschlagen. Dort fing mein politisches Engagement an, zunächst in der Hochschulpolitik, dann in der Kommunalpolitik und schließlich auch im Landesverband der Grünen Rheinland-Pfalz. Ich gehöre seit Oktober 2013 dem Deutschen Bundestag an. Dort war ich in der 18. und 19. Wahlperiode Sprecherin für Behindertenpolitik und Bürgerangelegenheiten der Grünen-Bundestagsfraktion sowie Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages und im Petitionsausschuss. In der neuen Fraktion werde ich an den Themen weiterarbeiten.
Wie würdest du das Thema Barrierefreiheit in deutschen Kommunen aktuell einschätzen, vor allem im Hinblick auf deren Kommunikationsangebote, seien es Drucksachen, Presseinfos, Webseiten oder Social Media?
Eine allgemeine Antwort ist schwierig, da die Situation in den verschiedenen Kommunen unterschiedlich ist. Ein positives Beispiel in puncto Kommunikationsangebote ist die Stadt Köln. Die Stadt erklärt auf ihrer Webseite zum Beispiel in Leichter Sprache, wie ein neuer Personalausweis beantragt werden kann oder was man tun muss, um den Wohnsitz umzumelden. Aber eine große Stadt wie Köln hat natürlich andere Ressourcen als eine kleine Kommune.
Barrierefreiheit bedeutet mehr als weniger Bordsteinkanten, und von einer inklusiven Stadtentwicklung profitieren am Ende alle. Aber das geschieht nicht von alleine; die Kommunen müssen sich selbst auf den Weg machen. Viele haben angefangen, kommunale Inklusionskonzepte auf den Weg zu bringen. Wichtig ist dabei, Betroffene miteinzubeziehen. Dazu können kommunale Behindertenbeauftragte, Behindertenbeiräte aber auch Seniorenbeiräte einen wichtigen Beitrag leisten. Wo es diese noch nicht gibt, sollten sie eingerichtet werden.
»Wenn ich aufgrund von Barrieren gar nicht erst irgendwo hin- oder reinkomme oder nur mit fremder Hilfe oder ich wichtige Informationen nicht erschließen kann, grenzt das aus.«
Corina Rüffer
Was die Kostenfrage angeht: Es gibt einige Fördermöglichkeiten, auch für Kommunen. Bei der Suche nach passender Förderung hilft etwa die Datenbank www.foerderdatenbank.de. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass Kommunen zur Inanspruchnahme von Förderprogrammen besser beraten werden sollen. Grundsätzlich wollen wir Förderprogramme zusammenfassen, vereinfachen, flexibilisieren, harmonisieren, damit die Mittel prioritär dorthin fließen, wo der Nachholbedarf am größten ist.
Leider hört man ja immer wieder, dass Menschen den Sinn von Barrierefreiheit hinterfragen. Kannst du noch einmal in ganz kurzen Worten erläutern, warum diese so immens wichtig ist?
Barrierefreiheit ist Grundvoraussetzung für eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe an der Gesellschaft. Wenn ich aufgrund von Barrieren gar nicht erst irgendwo hin- oder reinkomme oder nur mit fremder Hilfe oder ich wichtige Informationen nicht erschließen kann, grenzt das aus.
Darüber hinaus ist Barrierefreiheit in einer Gesellschaft, die dem demografischen Wandel unterliegt, eine absolute Zukunftsfrage. Wenn die verschlafen wird, drohen wir gegen die Wand zu fahren. Beispielsweise fehlen schon heute knapp 2,5 Millionen barrierefreie Wohnungen und der Bedarf wird weiter steigen.
Die Umsetzung von Barrierefreiheit scheitert oft daran, dass zu hohe Kosten oder ein großer Aufwand befürchtet werden. Doch wenn Barrierefreiheit immer von Anfang an mitgedacht wird, halten sich auch die Kosten in Grenzen. Ein nachträglicher Umbau von Gebäuden oder einer Webseite sind natürlich aufwendig.
Wie sieht denn die Gesetzeslage dazu aus?
Vorgaben zur Barrierefreiheit finden sich vor allem im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), das 2002 eingeführt wurde. Damals war das ein großer Wurf, doch in den vergangenen Jahren ist kaum noch was passiert. Auch die BGG-Novelle, die Union und SPD 2016 vorgenommen haben, war absolut nicht ausreichend. Neben dem BGG finden sich auch in anderen Gesetzen Regelungen zur Barrierefreiheit, zur Mobilität beispielsweise im Personenbeförderungsgesetz. Auch auf Länderebene gibt es einige Vorschriften, wie zum Beispiel die Vorgaben zum barrierefreien Bauen in den jeweiligen Landesbauordnungen.
Das BGG nimmt bisher nur staatliche Stellen in die Pflicht. Das Leben der Menschen spielt sich aber nicht in Bundesbehörden ab. Wir haben uns deshalb im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass endlich auch die Privatwirtschaft zur Herstellung von Barrierefreiheit verpflichtet werden soll. Falls das nicht möglich oder unzumutbar ist, sollen private Anbieter zumindest angemessene Vorkehrungen (z.B. mobile Rampe) schaffen. Dazu wollen wir das BGG und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) anpassen.
Aufgrund einer EU-Richtlinie wurde erst dieses Jahr das „Barrierefreiheitsstärkungsgesetz“ verabschiedet. Es verpflichtet erstmals private Anbieter, Barrierefreiheit herzustellen. Allerdings betrifft das nur sehr wenige Produkte und Dienstleistungen und teils sind die Übergangsfristen zur Umsetzung sehr lang. Auch hier wollen wir nachbessern.
»Beim ÖPNV haben wir noch viel Nachholbedarf.«
Corina Rüffer
Ein wichtiger Punkt ist die Mobilität. Wir haben uns mit unseren Koalitionspartnern darauf verständigt, die bisherigen Ausnahmemöglichkeiten im Personenbeförderungsgesetz (ÖPNV) bis 2026 abzuschaffen und eine umfassende Barrierefreiheit bis dahin umzusetzen. Im Bereich Wohnen werden wir unseren Einsatz für altersgerechtes Wohnen und Barriereabbau verstärken und die Mittel für das entsprechende KfW-Programm auskömmlich aufstocken. Bis jetzt haben die jährlichen Mittel daraus nicht einmal ansatzweise ausgereicht, um die Nachfrage zu bedienen.
Damit politische Entscheidungen für mehr Menschen zugänglich werden, wollen wir u.a. Pressekonferenzen, öffentliche Veranstaltungen von Bundesministerien und -behörden sowie Informationen zu Gesetzen in Gebärdensprache übersetzen, untertiteln und die Angebote in leichter bzw. einfacher Sprache ausweiten.
Was läuft denn schon gut in Sachen Barrierefreiheit?
Mein Eindruck ist, dass sich gerade im Bereich der digitalen Barrierefreiheit viel getan hat. Das ist aber auch ein Bereich, der sich schneller weiterentwickelt und in kürzeren Zeitabständen überarbeitet wird, als zum Beispiel der Umbau eines Gebäudes. Außerdem sind manche Verwaltungsgebäude zugänglicher geworden.
Ein tolles Beratungsangebot bietet zum Beispiel die Bundesfachstelle Barrierefreiheit. Leider ist dieses Angebot primär für Behörden und Verwaltungen auf Bundesebene vorgesehen. Ähnliche Beratungs- und Anlaufstellen bräuchte es eigentlich auch in allen Bundesländern. Bisher gibt es das nur vereinzelt.
Und wo hapert es in den Kommunen aus deiner Sicht noch am meisten?
Auch hier ist eine pauschale Antwort schwierig, da die lokalen Gegebenheiten der Kommunen sehr unterschiedlich sind. Ich denke, dass zeigt sich vor allem bei Mobilität und Wohnen. Beim ÖPNV haben wir noch viel Nachholbedarf. Eine riesige Zukunftsaufgabe ist außerdem, ausreichend barrierefreien Wohnraum zu schaffen. Das betrifft nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern ist auch angesichts des demografischen Wandels eine äußerst wichtige Aufgabe. Schon jetzt ist der Mangel sehr groß, wie bereits beschrieben.
Ein weiteres Problem ist, dass das Thema Barrierefreiheit in Ausbildungs- oder Studiengängen nicht ausreichend verankert ist. Selbst diejenigen, die Barrierefreiheit umsetzen oder kontrollieren, kennen häufig nicht die bestehenden Standards. Daher wäre es nötig, mehr Wissen zu vermitteln und dies als festen Bestandteil des Lehrplans zu verankern, z.B. im Architektur- oder hinsichtlich digitaler Barrierefreiheit im Informatikstudium.
Gibt es Dinge, die Menschen in Kommunen ohne großen Aufwand schon selber tun können, um die Barrierefreiheit zu verbessern?
Am besten ist es, wenn Menschen mit Behinderungen selbst dazu befragt werden, wo vor Ort die Probleme sind und wie diese behoben werden können. Teilweise gibt es kommunale Behindertenbeauftragte, aber nicht überall.
Im Mai hat die grüne Bundestagsfraktion eine Aktionswoche zum Thema Barrierefreiheit durchgeführt. Dabei haben sich die Abgeordneten in ihrem Wahlkreis mit aktiven Menschen, Initiativen und Projekten getroffen oder auch kleinere Stadttouren in Hinblick auf Barrieren gemacht. Auch ich habe dabei festgestellt: Möglichkeiten zum Abbau von Barrieren gibt es überall. Gute Praxistipps und Checklisten zur Überprüfung von Barrierefreiheit gibt es übrigens auf der Homepage der Bundesfachstelle Barrierefreiheit (www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/DE/Praxishilfen/praxishilfen_node.html).
Welche besonderen Anforderungen für die Umsetzung von Barrierefreiheit gibt es im Internet und Social Media?
Für sehbeeinträchtigte Menschen sind vor allem eine Seitennavigation und Bildbeschreibungen auf Webseiten nötig – die leider oft fehlen. Wenn sie mit einem Screenreader arbeiten, muss dieser die relevanten Informationen erkennen können und so sollte es auch entsprechend programmiert sein. Besonders häufig fehlen leider Texte und Erklärungen in Leichter Sprache und Gebärdensprache.
»Barrierefreie PDFs sind gut und wichtig, insbesondere für sehbeeinträchtigte Menschen.«
Corina Rüffer
Im Bereich Social Media hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Bei Facebook-, Twitter- oder Instagram-Bildern gibt es inzwischen die Möglichkeit, Bildbeschreibungen („Alternativtext“) hinzuzufügen. Bei Videos lassen sich in der Regel Untertitel hinzufügen, was für hörbeeinträchtigte Menschen wichtig, aber auch für viele andere nützlich ist. Auf www.barrierefreiposten.de gibt es hilfreiche Checklisten und Hinweise.
Was hältst du von barrierefreien PDF-Dateien und werden diese überhaupt genutzt?
Barrierefreie PDFs sind gut und wichtig, insbesondere für sehbeeinträchtigte Menschen. Eine gute Seitennavigation finde ich aber auch sehr praktisch. Leider höre ich häufiger, dass manche Behörden Dokumente und Formulare nicht in barrierefreien Versionen zur Verfügung stellen. Das ist sehr ärgerlich, wenn allein deswegen Hilfe in Anspruch genommen werden muss.
Mehr zu Corina Rüffer finden Sie auf Ihrer Website.
*Da wir Corinna Rüffer persönlich kennen, haben wir bei unseren Fragen die formlose Variante des „Du“ gewählt.
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